Der Kunde ist ja bekanntlich König. Doch warum sehen wir unsere Lernenden bei der Trainingserstellung noch immer nicht als Kundinnen und Kunden an? Wir befassen uns viel zu sehr mit den Rahmenbedingungen, die uns Auftraggeber auftragen, statt uns mit den eigentlichen Kundinnen und Kunden – den Lernenden – zu befassen. Hier kann Design Thinking Abhilfe schaffen!
Design Thinking ist eine Methode auf kreative Art und Weise Lösungen zu Fragestellungen zu erarbeiten. Ingrid und Peter Gerstbach schreiben „Design Thinking ist keine rocket science. Es ist ein Prozess des Zuhörend, Verstehens und Verbindens.“
Im Design Thinking nutzen wir ein iteratives Vorgehen, indem wir uns in Loops von der Problemstellung zur Problemlösung arbeiten. Dabei behilft man sich kreativen Methoden, die ein breitgefächertes Sammeln von Ideen ermöglichen. Eine hohe Fehlertoleranz, insbesondere zu Beginn ist wünschenswert, um am Ende eine gute Lösung generieren zu können. Eines der wichtigsten Unterschiede zu herkömmlichen Methoden der Bedarfsanalyse eines Projektes ist die aktive Auseinandersetzung mit den Kundinnen und Kunden. Durch gezielte Befragungen und einen empathischen Zugang des Projektteams, kann ein Bewusstsein für das Problem geschaffen und daraus an Lösungen gearbeitet werden. Der Mensch steht dabei IMMER im Mittelpunkt (1)!
Erfolgreiche Innovationen entstehen unter anderem nach Lewrick, Link und Leifer (1), aber auch nach Gerstbach aus den Bedürfnissen der Menschen/Kundinnen und Kunden (Wünschbarkeit), einer rentablen Lösung (Wirtschaftlichkeit) und der technischen Umsetzbarkeit (Machbarkeit) (siehe Abbildung) (3).

Wie passt nun Design Thinking zur unternehmerischen Weiterbildung?
Design Thinking hat seinen Ursprung im Marketing, kann jedoch überall dort eingesetzt werden, wo kundinnen- und kundenorientierte Produkte erstellt werden. Im weitesten Sinne sprechen wir auch bei einem Training von einem Produkt, das wir im Rahmen eines Prozesses produzieren. Hier wiederholen Ingrid und Peter Gersbach unter anderem auch in ihrem Podcast immer wieder, dass Design Thinking nicht nur ein Prozess ist, der an einem Ende startet und an einem anderen Ende abgeschlossen wird (2). Design Thinking ist agil und iterativ. Das bedeutet, dass es sich zwar um einen Prozess handelt, dieser jedoch in Loops unterschiedliche Phasen durchlaufen kann und nicht zwingend linear von A nach B verläuft. Wir konzipieren, erfahren und passen den Prozess neu an unsere Erfahrungen an. Unsere Kundinnen und Kunden sind dabei nicht, wie oft fälschlich angenommen, unsere Auftraggeber. Kundinnen und Kunden sind Endverbrauchen und daher unsere Lernenden selbst. An diese müssen wir unser Produkt, also unser Training anpassen und mit diesen müssen wir auch GEMEINSAM an diesem iterativen Prozess feilen (4). Für mich beginnt der Design Thinking Prozess bei meiner Bedarfsanalyse und zieht sich über die Phase der Konzeptionierung.
Aber wie funktioniert Design Thinking eigentlich?
Design Thinking besteht aus fünf Bausteinen, die ineinander greifen. Die Bausteine sind je nach Literatur unterschiedliche benannt und reichen von vier bis hin zu sieben Phasen. Ingrid Gerstbach schreibt dazu: “Für mich hat es sich in der Praxis aber als unerheblich erwiesen, wie viele Phasen tatsächlich verwendet werden, denn allen Phasen ist gemein, dass sie nebeneinander existieren und iterativ – je nach Bedarf und Natur des Projektes – angewendet werden können” (3). Für mich wirkt die Unterteilung im Hinblick auf die Konzeptionierung von Weiterbildungskonzepten in Unternehmen sehr zielführend, die sechse Phase sehe ich als Implementierungsphase, bei der im Laufe der Zeit erneut Erhebungen durchführt werden sollten, um zukünftige Verbesserungen zu implementieren.

1. Verstehen
In einem ersten Schritt wird das zu lösende Problem oder die Herausforderung definiert. Wir versuchen dabei das Thema aus allen Perspektiven zu betrachten. Dabei hilft es uns im Vorhinein auch Stakeholder zu definieren und deren Sicht der Dinge einzunehmen. Dabei kann man sich unterschiedlichen Kreativmethoden bedienen, die einen Perspektivenwechsel ermöglichen.
Als Learning Experience Designerin nehme ich dabei eine neutrale Haltung ein und versuche so unterschiedliche Eindrücke wie möglich zu erlangen. Ich begleite meine Zielgruppe wenn möglich um die Notwendigkeit und den Sinn der Trainings direkt zu spüren.
2. Definieren
In einem weiteren Schritt betrachten wir die Bedürfnisse, Erlebnisse und Wertehaltungen unserer Kundinnen. Wir lernen diese kenne und analysieren sie, um sie am Ende zu verstehen. Eine wertneutrale Haltung ist hier gefragt. Auch die Rahmenbedingungen der Auftraggeber müssen erhoben werden. In der Praxis ist es oft schwer Auftraggeberinnen davon zu überzeugen, dass sie ihre Lernenden eben noch nicht gut genug kennen. Wir müssen mit unserer Zielgruppe sprechen, wenn wir Produkte für sie entwickeln wollen! Deshalb ist es umso wichtiger ins Gespräch mit möglichst unterschiedlichen Personen zu kommen, um das Spektrum der Unterschiede innerhalb der Zielgruppe definieren zu können. Manchmal kommt es an dieser Stelle vor, dass sich das eigentliche Problem ändert, weshalb hier in einem Loop „zurück“ in bereits bearbeitete Phasen gemacht wird, um das Problem oder die Herausforderung genauer zu definieren und zu ergänzen. Je genauer hier gearbeitet wird, umso zielführender wird das Ergebnis am Ende sein. Nun definieren wir die Herausforderung um das Problem zu lösen. Ich bediene mich in der Praxis hier gerne einem Online Whiteboard oder einer Pinnwand und skizziere alle bereits recherchierten Daten und Ergebnisse.
3. Ideen finden
Nun geht es ans Eingemachte. In diesem Schritt werden Lösungen skizziert und anschließend priorisiert.
- Wir definieren dabei möglichst viele Lösungen ohne über die Machbarkeit nachzudenken – Manchmal sind Lösungen realisierbar ohne, dass man ihnen dies im ersten Moment zutrauen würde. Des Weiteren regen kreative Lösungen zu weiteren kreativen Lösungen an.
- Danach werden alle Lösungen diskutiert und nach Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Erwünschtheit gerankt
- Anschließend wird eine Idee ausgewählt, die in einem nächsten Schritt getestet wird.
Mit einem collaborativen Whiteboard können dann möglichst viele Ideen gesammelt werden, die anschließend mit den Ergebnissen aus der Bedarfsanalyse (Emotionen der Lernenden, Rahmenbedingungen,etc.) nach Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Wünschbarkeit geprüft und anschließend gerankt werden. Diese werden anschließend in eine Learning Journey gepackt. Diese Schritte können für einfache Trainings mit einer einzigen Methode, als auch große Blended Learning Konzepte angewandt werden.
4. Prototypen
Nun wird ein Prototyp erstellt, bei dessen Entwicklung man versucht möglichst wenig Zeit und Energie aufzuwenden, jedoch sollte die Funktionalität bestmöglich widergespiegelt werden. Der Prototyp ist ein reiner Entwurf und entsprechen daher vom Detail her nicht einem Endprodukt. Prototypen dienen zur ersten Anschauung. Auch hier kann jederzeit erneut durch einen Loop in eine andere Phase gesprungen werden.
In der Praxis der Trainingserstellung kann das so aussehen, dass mittels Lego Serious, SAP Secnces Figuren, Plakaten oder anderen gebastelten Veranschaulichungen ein Protoytp der Learning Journey nachgebaut wird.
5. Testen
Die Testphase dient der gründlichen Testung des Prototypens um ein konstruktives Feedback zu generieren, dass wiederum in einen neuen Prototypen, oder eine Phase davor, eingebaut werden kann.
In der Praxis können wir anhand des Prototypen einzelne Methoden genauer veranschaulichen und uns in die unterschiedlichen Perspektiven konkreter hineindenken. Ist der Prototyp ausreichend getestet und wird er führ gut befunden, geht es in die Umsetzung. Entpuppen sich aus dem Prototypen neue Ansätze, Methodenänderungen, konkrete Änderungswünsche, kann iterativ auf den Prozess eingewirkt werden. Wichtig ist hierbei, auch die Lernenden einzubinden – der Erfolg ist danach garantiert!
6. Implementieren
Die Realisierung des Prototypen gehört für mich nicht mehr zum eigentlichen Design Thinking Prozess. Viel mehr ist es mir in dieser Phase wichtig die Umsetzung auch auf lange Sicht hin erneut zu überprüfen, um gegebenenfalls auch hier iterativ wieder in einen Design Thinking Prozess überzugehen um Verbesserungen durchzuführen. Gerade in der heutigen agilen Welt, ist diese Denkweise im Trainingssektor erforderlich um wettbewerbsfähig zu sein.
Gerade im Bereich der unternehmerischen Weiterbildung bietet der Prozess des Design Thinking’s zur Konzeptentwicklung eine neue Herangehensweise, die das Endprodukt lernerinnenzentrierter gestaltet. Dem geht gleichzeitig einher, dass wir uns von längst veralteten Mustern lösen müssen. Schon längst steht es in der Literatur zur Debatte Lerninhalte nicht aus Sicht der Trainerinnen zu vermitteln, sondern über die Lernenden und den Trainingsinhalt geeignete Methoden zu wählen, nach denen sich Trainer*innen richten sollen.
Wir sollten das Pferd also neu satteln. Die Literatur sagt uns das schon lange. Aber tun wir das auch schon in der Praxis?
Literatur
(1) Lewrick, M. (Hersg.) (2019): Das Design Thinking Toolbook: Die besten Werkzeuge & Methoden. Vahlen: München.
(2) Gerstbach, I. (2016): Design Thinking im Unternehmen: Ein Workbook für die Einführung von Design Thinking. Gabal: Offenbach am Main.
(3) Gerstbach, I. (2021): 4×4 Design Thinking: Der Prozess. Onlinebook.
(4) Schmallmo, D.; Lang, K. (2020): Design Thinking erfolgreich anwenden: So entwickeln Sie in 7 Phasen kundenorientierte Produkte und Dienstleistungen. 2 Auflage. Springer Gabler: Wiesbaden.