Ökosysteme kennen wir ursprünglich aus der Biologie. Definiert werden Ökosysteme in der Fachliteratur kurz um als:
- Offen – Sie gehen nahtlos über und können zwischen den einzelnen Ökosystemen wechseln und sich in solche interagieren.
- Dynamisch – Ökosysteme können sich durch Einflüsse von Innen und Außen verändern, solange die Veränderung nicht zu groß ist.
- Komplex – Ein Ökosystem ist ein komplexes Geflecht aus biotischen und abiotischen Faktoren in permanenter Wechselwirkung zueinander, dass fast nicht zerstörbar ist.
Ökosystems sind somit offene Systeme, die miteinander agieren, zueinander in Wechselwirkung stehen, anpassungsfähig und komplex sind.
Was heißt das jetzt für Lernökosysteme?
Uden und Wangsa weisen bereits 2007 auf eine Veränderung der Lernökosysteme hin. So beschreiben sie die erste Generation der „Digital Ecoystems“ als reine eLearnings, die zumeist durch ein LMS gemanagt werden und das Ziel haben den Lernstoff in digitaler Form an die lernenden zu transferieren. Dabei wird unter anderem noch weniger Wert auf die Qualität der Inhaltsvermittlung durch Methodenvielfalt gelegt. Evaluierungen sind unzureichend abgestimmt, die Lernenden selbst stehen nicht im Mittelpunkt. In einer zweiten Generation wird das Digitale Ecosystem auf eine neue Ebene gebracht und dem Level einer Learning Experience Plattform gleichgesetzt (1).
„A digital ecosystem is a self-organizing digital infrastructure aimed at creating a digital environment for networked organizations that supports the cooperation, the knowledge sharing, the development of open and adaptive technologies and evolutionary business models” (1).
Frau Dr. Schmitz definiert ein New Learning Ecosystem als ein hoch adaptives sozio-technisches System. „Sie bestehen aus dem dynamischen Zusammenspiel interner und externer Partner, Communities von Lernenden, Technologien, Daten, Formaten, Services, Räumen und Inhalten“ (2). Wie in einem Ökosystem steht auch das Lernökosystem unter einer Wechselwirkung zwischen inneren und äußeren Einflüssen. Sie denken sich stätig neu und entwickeln sich eigendynamisch weiter. Allen voran steht eine gemeinsame Richtung, ein gemeinsames Ziel.
Setzen wir die Theorie in die Praxis.
Eine Organisation weist immer ein Lernökosystem auf. Egal ob in der Schule, an der Universität, oder im Betrieb selbst, das System ist offen, dynamisch und komplex. Die Frage ist nur, wie weit es ausgereift ist. Frau Dr. Schmitz betont, dass ein New Learning Ecosystem sich dadurch auszeichnet, dass es in einem hohen Grad anpassungsfähig ist und soziale als auch technische Komponente vereint (3). Ein New Learning Ecosystem betrachtet Lernen nicht mehr nur aus der „Lehrer zu Schüler“ Perspektive, sondern setzt Lernen in einen ganzheitlichen Kontext. Äußere, als auch innere Einflüsse, als auch jegliche Rahmenbedingungen wie der digitale und physische Raum, Lernformate, Technologien und Support, werden berücksichtigt und ganzheitlich in einem Ökosystem gedacht. Hier kommt auch die bereits oft erwähnte Learning Experience zu tragen. Wird diese in einer höheren Stufe weitergedacht, integriert sich jegliches Lernsystem eines Unternehmens in den Arbeitsprozess und agiert miteinander wie ein Ökosystem. Daraus resultiert ein interaktives System, dass Lernenden im Rahmen einer Organisation miteinander verbindet. Das System lässt unter anderem Lernende Lerngruppen bilden, Lernerfolge teilen, Lerninhalte individuell aufbereitet und Lernempfehlungen durch das Wissen über die aktuellen Aufgaben bereitstellt. Ein New Learning Ecosystem enthält alle relevanten Programme und Systeme, die den Betrieb formen und bereitet diese im richtigen Moment, zum richtigen Zeitpunkt auf.

Wie könnten solche Systeme in der Praxis die Zukunft verändern?
Servicetechniker werden dann nicht mehr in einem Handbuch nachschlagen, wenn Sie einer Frage nicht mächtig sind. Sie werden beispielsweise die Lösung in augmentierter Form an Ort und Stelle direkt empfangen und in der Umsetzung unterstützt. Das System wird dabei im Bedarfsfall auf die Fehler detaillierter eingehen, eventuelle Lernempfehlungen abgeben oder auch auf Kolleg:innen aufmerksam machen, die vor der selben Problemstellung standen um einen Austausch anzuregen. Weiters wird sich das System den Fehler merken und gegebenenfalls die Lernenden erneut erinnern oder andere Kolleg:innen in der selben Situationen darauf aufmerksam machen.
Ein New Learning Ecosystem kann aber noch weitergedacht werden. In Verbindung mit neuen Technologien wie der Blockchain, kann ein Learning Ecosystem andere Ebenen vernetzen.
Rifkin macht darauf aufmerksam, dass die Blockchain den Wissensaustausch über alle Grenzen hinaus auf ein höheres Level bringen kann (4). Wir reden davon, dass es viele betriebliche Organisationen gibt, die unabhängig von einander agieren, jedoch die Wertschöpfung von einander abhängig ist. Durch ein gemeinsames Angebot, so wie es Dr. Schmitz erklärt, wird ein wertvollere Outcome geschaffen, als das Produkt oder die Dienstleitung selbst (2).
Ein weltweites Vernetzen unserer Wissensdaten könnte uns zu einer neuen Effizienz verhelfen. Dies ist wahrscheinlich leichter in einem bildungswissenschaftlichen Kontext, wie den einer Schule oder einer Universität zu setzen. In betrieblichen Organisationen gilt hier abzustecken welches Wissen weitergegeben werden soll und welches Wissen für die Produktion der eigenen Güter organisationsintern vernetzt wird. Das Teilen von allgemeinem Wissen in einem weltweiten betrieblichen Netzwerk hingegen, könnte die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit steigern und uns in ein neues Zeitalter führen.
Literatur:
(1) Uden L., Wangsa I.T., Damiani E. (2007): The future of B-learning: B-learning ecosystem. In: https://ieeexplore.ieee.org/xpl/conhome/4233616/proceeding.
(2) Siepmann, F. (Moderator) (2020, 02.Oktober): “Learning Ecosystems“ mit Prof. Dr. Anja Schmitz [Audio-Podcast]. SUMMITpodcast. In: 🎙️SUMMIT Podcast Vol. 12: „Learning Ecosystems“ mit Prof. Dr. Anja Schmitz | #eLearningFriday10am – YouTube
(3) Schmitz, A.; Fölsing, J. (2021): New Work braucht New Learning: Eine Perspektivreise. Springer.
(4) Rifkin, J. (2019): Der globale Green New Deal: Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann. Frankfurt/M.